Tuschezeichnungen
Einführung in die Arbeiten
von Agnes Blum 15.9.2000
Winfried Stürzl
von Agnes Blum 15.9.2000
Winfried Stürzl
Gestus,
Zeichen,
Spuren
Sehr geehrte Damen und Herren,
(....)
Lassen Sie mich mit den Tuschezeichnungen beginnen. Es sind Papierarbeiten
in unterschiedlichem Format, auf denen wir "Zeichen" verschiedenster Art und
Größe sehen. Einen Teil ihrer Tuschearbeiten hat Agnes Blum auch so benannt:
"ZEICHEN".
Es handelt sich aber nicht etwa um abstrakte Zeichen, z.B. um Buchstaben eines Alphabets. Die Zeichen von Agnes Blum sind größtenteils unlesbar. Zwar klingen manchmal Zeichen aus unserer Kultur an. So gibt es Gebilde, die an Kreuze erinnern, in einer Arbeit mag an das Planetenzeichen der Venus bzw. das der Weiblichkeit anklingen. Im großen ganzen entziehen sich die Bilder aber der Lesbarkeit. Am ehesten mag man noch an Schriftzeichen aus asiatischen Kulturen denken (die ja für uns ebenfalls unlesbar sind) und an die Kunst der Kalligraphie. Dort ist der Duktus, der Pinselstrich von besonderer Bedeutung. Es bedarf einer Meisterschaft, das entsprechende Schriftzeichen mit einem adäquaten Ausdruck darzustellen. Der Schwerpunkt verlagert sich in der Kunst der Kalligraphie vom rationalen Inhalt des Zeichens zu seiner Form und deren Ausdruck.
Es handelt sich aber nicht etwa um abstrakte Zeichen, z.B. um Buchstaben eines Alphabets. Die Zeichen von Agnes Blum sind größtenteils unlesbar. Zwar klingen manchmal Zeichen aus unserer Kultur an. So gibt es Gebilde, die an Kreuze erinnern, in einer Arbeit mag an das Planetenzeichen der Venus bzw. das der Weiblichkeit anklingen. Im großen ganzen entziehen sich die Bilder aber der Lesbarkeit. Am ehesten mag man noch an Schriftzeichen aus asiatischen Kulturen denken (die ja für uns ebenfalls unlesbar sind) und an die Kunst der Kalligraphie. Dort ist der Duktus, der Pinselstrich von besonderer Bedeutung. Es bedarf einer Meisterschaft, das entsprechende Schriftzeichen mit einem adäquaten Ausdruck darzustellen. Der Schwerpunkt verlagert sich in der Kunst der Kalligraphie vom rationalen Inhalt des Zeichens zu seiner Form und deren Ausdruck.
Auch bei einem Großteil der "Zeichen" von Agnes Blum ist der Duktus, die Gestalt des Pinselstrichs das Hauptthema.
Der Gestus, die Geste der Künstlerin schreibt sich in das Papier als Spur ein. Und es gibt unendliche Varianten
dieser Spuren. Manchmal ballen sie sich zu festen Körpern zusammen, die fast unbewegt im Bildraum lagern,
anderswo entdecken wir kraftvolle Ausbrüche, die Spur reicht manchmal weit aus dem Bildraum hinaus ins Imaginäre.
Dann gibt es in sich ruhende Flecken, die um sich selbst zu kreisen scheinen und Linien, die sich ihren Platz im
Bildraum langsam suchen. Es gibt Punkte, die tänzerisch umeinander kreisen, Linien die wie Spuren von Leuchtkörpern
am Himmel aussehen, andere die sich umeinander schlingen. Oft haben die festen Gebilde wie eine Art Atmosphäre um sich.
Die "Zeichen" von Agnes Blum sind also weit weg vom rationalen Verstehen. Sie zeigen stattdessen ihre Formseite in voller Lebendigkeit. Allen gemeinsam ist ihre Dynamik. Doch wie entsteht diese Dynamik? Sie entsteht erst im Prozess des Betrachtens. Denn im Betrachten folgt der Blick den bewegten Spuren des Pinsels. Der Betrachter steigt in einen Wahrnehmungsprozess ein; er muss sich sozusagen mit dem Punkt oder der Linie identifizieren. Er verschmilzt mit einem Gegenüber und bildet somit die Bewegung, die Geste der Künstlerin nach. Es entsteht eine Art Tanz mit den Augen und dem ganzen Empfinden. Zeitliches, Prozessuales wird auf diese Weise in den "Zeichen" von Agnes Blum erfahrbar gemacht. Es entsteht eine Spannung zwischen dem statischen Zeichen als "Sinnbild" und dessen Bewegung in der Wahrnehmung.
Dieses Hinlenken des Bewusstseins auf Prozessuales ist ein Aspekt, der in den Arbeiten von Agnes Blum immer wiederkehrt. So beispielsweise bei ihren früheren Textilarbeiten. Zu Säulen aufgestapelt oder in Schränken geschichtet und gepresst, wird in diesen Arbeiten den reinen weißen Tüchern Feuchtigkeit zugesetzt und das ganze dann den Fäulnis- und Verwesungsprozessen anheim gegeben. Die Spuren der Verwesung, die Bildung der Schimmelpilze, die Kalkablagerungen etc. schaffen im Laufe der Zeit das eigentliche Bild in Form komplexer grafischer Strukturen. In den Tuschezeichnungen wird dieses zeitliche Element, das Prozessuale nun vom Kunst-Objekt in das wahrnehmende Subjekt überführt. Der Betrachter braucht Zeit zum Sehen der Bilder.
Eng verbunden mit dem Gestischen ist das Moment des Körperlichen. Agnes Blum benutzt - zumindest für die größeren Arbeiten - einen Pinsel, der aus ihren eigenen Haaren gefertigt wurde. Ein besonders deutliches Bild dafür, dass ihre "Zeichen" tatsächlich als Einschreibung ihres Körpers, als gestische Spuren gedeutet werden dürfen. Auch zeigt sich daran, wie verwandt die Zeichnungen von Agnes Blum eigentlich ihren Performances sind. In einem Video von 1988 beispielsweise kann man beobachten, wie sie ihre eigenen, damals noch langen Haare in Farbe taucht, um anschließend durch heftige Beugebewegungen mit dem ganzen Körper ein an die Wand geheftetes Tuch mit Farbspuren zu versehen.
Auch in den Zeichnungen bleibt das performative Element bestehen, denn Zeichnen hat bei Agnes Blum einen fast rituellen Charakter mit festem Anfang und festem Ende. Schon das sich entsprechend Anziehen gehört zum Beginn des Entstehungsprozesses der Zeichnungen. Dann stellt sie sich dem unbeflekten Bildgrund gegenüber, umgibt sich mit meditativer Stille, bevor sie - wenn genügend Körperenergie sich angesammelt hat - ihrer Hand mit dem Pinsel freien Lauf lässt. Es ist ein gänzlich unrationaler Akt, in dem Bilder entstehen, aber doch kein völlig unbewusster. Denn wie sie selbst beschreibt, schaut sie sich beim Zeichnen selbst über die Schulter. Sie begibt sich in eine Art - wie ich es nennen möchte - "ästhetischen Zustand" zwischen Wachen und Träumen, der aller Kontrolle durch die Rationalität entledigt ist und bei dem sie dennoch präsent bleibt. Dies unterscheidet ihre Arbeiten - das sieht man ihnen auch an - von der écriture automatique der Surrealisten oder dem Action Painting eines Jackson Pollock.
Ein weiterer Aspekt der Tuschezeichnungen von Agnes Blum, auf den ich nur ganz kurz hinweisen möchte, liegt in der Komposition, also in der Beziehung der einzelnen Bildelemente zueinander und zum Ganzen. Sobald mehr als ein Bildelement auftaucht, kann man sich auf Assoziationen einlassen; man entdeckt in den dunklen Flecken, Strichen und Punkten vielleicht Tänze, Kämpfe, kleine Dramen. Es ist der Zwischenraum, das Dazwischen, das was eigentlich normalerweise nicht sichtbar ist, das hier zum Thema wird. Die Beziehung zwischen den einzelnen Elementen und ihre Form wird zum Erzeuger von Stimmungen, die der Betrachter wahrnimmt und assoziierend verändern kann.
Die "Zeichen" von Agnes Blum sind also weit weg vom rationalen Verstehen. Sie zeigen stattdessen ihre Formseite in voller Lebendigkeit. Allen gemeinsam ist ihre Dynamik. Doch wie entsteht diese Dynamik? Sie entsteht erst im Prozess des Betrachtens. Denn im Betrachten folgt der Blick den bewegten Spuren des Pinsels. Der Betrachter steigt in einen Wahrnehmungsprozess ein; er muss sich sozusagen mit dem Punkt oder der Linie identifizieren. Er verschmilzt mit einem Gegenüber und bildet somit die Bewegung, die Geste der Künstlerin nach. Es entsteht eine Art Tanz mit den Augen und dem ganzen Empfinden. Zeitliches, Prozessuales wird auf diese Weise in den "Zeichen" von Agnes Blum erfahrbar gemacht. Es entsteht eine Spannung zwischen dem statischen Zeichen als "Sinnbild" und dessen Bewegung in der Wahrnehmung.
Dieses Hinlenken des Bewusstseins auf Prozessuales ist ein Aspekt, der in den Arbeiten von Agnes Blum immer wiederkehrt. So beispielsweise bei ihren früheren Textilarbeiten. Zu Säulen aufgestapelt oder in Schränken geschichtet und gepresst, wird in diesen Arbeiten den reinen weißen Tüchern Feuchtigkeit zugesetzt und das ganze dann den Fäulnis- und Verwesungsprozessen anheim gegeben. Die Spuren der Verwesung, die Bildung der Schimmelpilze, die Kalkablagerungen etc. schaffen im Laufe der Zeit das eigentliche Bild in Form komplexer grafischer Strukturen. In den Tuschezeichnungen wird dieses zeitliche Element, das Prozessuale nun vom Kunst-Objekt in das wahrnehmende Subjekt überführt. Der Betrachter braucht Zeit zum Sehen der Bilder.
Eng verbunden mit dem Gestischen ist das Moment des Körperlichen. Agnes Blum benutzt - zumindest für die größeren Arbeiten - einen Pinsel, der aus ihren eigenen Haaren gefertigt wurde. Ein besonders deutliches Bild dafür, dass ihre "Zeichen" tatsächlich als Einschreibung ihres Körpers, als gestische Spuren gedeutet werden dürfen. Auch zeigt sich daran, wie verwandt die Zeichnungen von Agnes Blum eigentlich ihren Performances sind. In einem Video von 1988 beispielsweise kann man beobachten, wie sie ihre eigenen, damals noch langen Haare in Farbe taucht, um anschließend durch heftige Beugebewegungen mit dem ganzen Körper ein an die Wand geheftetes Tuch mit Farbspuren zu versehen.
Auch in den Zeichnungen bleibt das performative Element bestehen, denn Zeichnen hat bei Agnes Blum einen fast rituellen Charakter mit festem Anfang und festem Ende. Schon das sich entsprechend Anziehen gehört zum Beginn des Entstehungsprozesses der Zeichnungen. Dann stellt sie sich dem unbeflekten Bildgrund gegenüber, umgibt sich mit meditativer Stille, bevor sie - wenn genügend Körperenergie sich angesammelt hat - ihrer Hand mit dem Pinsel freien Lauf lässt. Es ist ein gänzlich unrationaler Akt, in dem Bilder entstehen, aber doch kein völlig unbewusster. Denn wie sie selbst beschreibt, schaut sie sich beim Zeichnen selbst über die Schulter. Sie begibt sich in eine Art - wie ich es nennen möchte - "ästhetischen Zustand" zwischen Wachen und Träumen, der aller Kontrolle durch die Rationalität entledigt ist und bei dem sie dennoch präsent bleibt. Dies unterscheidet ihre Arbeiten - das sieht man ihnen auch an - von der écriture automatique der Surrealisten oder dem Action Painting eines Jackson Pollock.
Ein weiterer Aspekt der Tuschezeichnungen von Agnes Blum, auf den ich nur ganz kurz hinweisen möchte, liegt in der Komposition, also in der Beziehung der einzelnen Bildelemente zueinander und zum Ganzen. Sobald mehr als ein Bildelement auftaucht, kann man sich auf Assoziationen einlassen; man entdeckt in den dunklen Flecken, Strichen und Punkten vielleicht Tänze, Kämpfe, kleine Dramen. Es ist der Zwischenraum, das Dazwischen, das was eigentlich normalerweise nicht sichtbar ist, das hier zum Thema wird. Die Beziehung zwischen den einzelnen Elementen und ihre Form wird zum Erzeuger von Stimmungen, die der Betrachter wahrnimmt und assoziierend verändern kann.