Humoriges Poetisches

Vernissagerede zur
„Werkdokumentation Agnes Blum“,
21. September 1990

„Kein Mensch
weiß, was
Kunst ist“

Dr. Günther Posch

Kein Mensch weiß, was Kunst ist,
Aber AGNES BLUM macht Kunst,
Drum weiß Agnes Blum, was Kunst ist.
Also gibt es mindestens einen Menschen,
Der weiß, was Kunst ist:
Nämlich Agnes Blum.
Und darum ist es falsch zu sagen:
„Kein Mensch weiß was Kunst ist“,
Agnes Blum weiß es nämlich.

Aber kann Agnes Blum sagen, was Kunst ist, wenn sie es schon weiß?
Muss sie sagen können, was Kunst ist, wenn sie es schon weiß?
Kein Mensch muss müssen.
Auch Agnes Blum nicht.
Wenn sie sagen könnte, was Kunst ist,
Ausführlich, endgültig, umfassend,
Dann hätte sie schon den Großen Preis der Philosophie gewonnen.

Aber Agnes Blum macht Kunst.
Sie macht auch Kunst mit Hosen.
Kunst mit Hosen, mit Unterhosen, mit Männerunterhosen,
Mit langen Männerunterhosen.
Hat es in diesen langen Männerunterhosen getobt?
Mag sein. Warum nicht?
Aber wir wissen es nicht.
Das fragende Auge der Betrachterin
Findet keine schnelle Antwort.

Aber was kann sich dem Auge erschließen?
Die ungeheure Länge von langen Männerunterhosen erschließt sich.
Kann denn eine lange Männerunterhose 5 Meter lang sein?
Hier auf diesem Teil des Triptychons wird sie es.
Sie windet sich von ihrer Verzweigung
In zwei Windungen 5 Meter lang in die Tiefe.
Natürlich nicht 5 Meter,
Das ganze misst ja nur 50x70 cm.
Da müssen wir doch unsere Gehirnfalten betätigen.

Und siehe da, die Hose windet sich in Gehirnfalten.
Die Falten der langen Männerunterhose
Werden zu Gehirnfalten:
Das sich verzweigende und faltige Gehirn aus den Unterhosen.

Aber das Auge des Betrachters braucht nicht
Beim Gehirn zu verweilen.
Es kann in die Gedärme abrutschen.
Vorher noch Unterhosen,
Dann Gehirnfalten,
Jetzt Darmfalten, die den Hosen näher sind
Als Gehirnfalten.

Und nicht nur das
Rechts im Bild, steigen aus den Falten,
Ob nun Gehirn, Darm oder einfach Hose,
Schlanke Gestalten in die Höhe.
Drei dieser Gestalten
Haben seltsame Hinterteile.
Das Hinterteil rechts
Weist zwei verschieden große Backen auf.
Bemerkenswert.
Auch die Hinterteile der anderen Gestalten
Sind eigenwillig ausgeprägt.

Und die Gestalten,
Die schlank in die Höhe wachsenden Gestalten
Werden oben zu mittelalterlichen Heiligenfiguren.
Sie sind im Gespräch vertieft,
kehren uns den Rücken.
Mit einer Ausnahme:
Eine Muttergottes ist von der Seite zu sehen.
Sie schaut nach rechts und hält das Kind auf dem Arm.

Muttergottes mit Kind?
Muss nicht, natürlich nicht, aber kann.
Wenn das Auge des Betrachters profan ist, sieht es nur das Profane,
Wenn das Auge nicht profan ist, kann es die Muttergottes sehen,
Aus langen Männerunterhosen heraus,
Die über sich hinauswachsen:
Ins Gehirn hinauf, in den Darm hinein, zu den Heiligen empor.

Vielleicht zu den komischen Heiligen?
Wenn der Betrachter komische Heilige sind.
Aber Sie?
Sie sind keine komischen Heiligen.
Natürlich nicht;
Deswegen werden Sie es ganz anders sehen müssen.

Aber Sie müssen etwas sehen.
Sie kommen nicht drum herum,
Sie können sich um diese langen Männerunterhosen
Nicht herumdrücken.
Vielleicht beginnt dort die Kunst,
Wo das Sich – drum – herum – drücken
Nicht möglich ist.

Das war nur eine Seite der Kunst von Agnes Blum,
ein kleiner Ausschnitt, zufällig herausgegriffen,
das war die Seite 49 der Werkdokumentation,
die wir heute ans Licht der Welt heben.
Was meinen Sie,
was es da noch für Seiten gibt.

Dr. Günter Posch